Spoken Words – Heilige Sprachkunst

Am vergangenen Sonntag 29.10. bot die Diessenhofer Stadtkirche Zeit und Raum für einen aussergewöhnlichen Anlass: Sprach-Künstlerin Julia Frey (Stuttgart) präsentierte im Rahmen von „Generation Church“ ihre Gedichte direkt aus biblischen Quellen. Ihre prächtigen und wuchtigen Texte schöpfte sie unmittelbar aus Urtiefen der alt- und neutestamentlichen Offenbarung. Damit holte sie das „Heilige“, das in moderner Zeit wie ausgebürgert oder ausgestorben wirkt, in den Horizont der Kirchgänger zurück.

Der abendliche Gottesdienst war erfüllt von Liedern, in denen Gott und Jesus angebetet wurde. Die Band erzeugte eine fröhlich bewegte Stimmung. Eingebettet in festliche Hymnen, trat die Rednerin auf. Unverblümt sprach sie die Menschen an. Den Besuchern aus dem Städtli und den umliegenden Gemeinden mutete sie Gottes Heiligkeit in atemberaubender Dringlichkeit zu. Die Atmosphäre war derart von erwartungsfroher Stille geprägt, als hätte man hören können, wie eine Stecknadel fällt.

Konzentration

Julia Frey stieg auf die biblische Sprachebene hinauf, die sie alsdann in poetischer Form eins zu eins abbildete und als hochkonzentrierte Bibelgedichte präsentierte. Diese brauchten keine Tagesaktualität, um Spannung zu erzeugen. Sie waren gerade nicht mit Alltagsdingen überfrachtet. Auch eine Rücksichtnahme auf den Zeitgeist fehlte. Ohne Ablenkung präsentierte die Dichterin ihre religiösen Texte rein und sauber ausdestilliert. Scheinbar anstrengungslos liefen die Verse und Reime nacheinander ab, einem feinen Schweizer Uhrwerk gleich. Das Gotteswort sprach für sich selbst, sorgfältig eingepackt in dichterische Gefässe, die klassische Einfachheit und Schönheit widerspiegeln.

Wie im Himmel so auf Erden

An diesem Diessenhofer Abend stellte sich die Stuttgarter Spoken Word Künstlerin dem schwierigsten Abschnitt der Bibel, der Offenbarung des Johannes. Daraus machte sie folgendes Gedicht:

„Ein Buch, von innen und aussen beschrieben, versiegelt mit der Anzahl sieben, liegt in Gottes Rechten: Der sucht den, der würdig ist, die Siegel zu brechen. Sodass die Frage in der Luft des Himmels lag und man im Himmel, auf und unter der Erde fragt: Wer ist der Würdigste, der das Buch zu öffnen vermag? … Da gab es nur einen, den Gott für würdig befand, den einen, der in der Mitte des Thrones stand, in ihm hat Gott den Vollkommenen erkannt … Er ist würdig, dass man ihn im ganzen Himmel als den Höchsten sichtet, denn er wurde auf der Erde wie ein Lamm hingerichtet … Dem Lamm wurde ein Kreuz auferlegt, doch der Löwe hat über das Grab gesiegt, sodass die Macht des Todes ausser Wirkung gerät, weil der Löwe ihm den Kopf zertrat.“

In ihren poetischen Darbietungen schilderte die Sprachkünstlerin jenes doppelte Stockwerk, bestehend aus Himmel und Erde, mit schnellen Übergängen hinauf und herab. Ihre Gedichte erwiesen sich als Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits, durchlässig in beiden Richtungen – also für Gott und die Geschöpfe, für Jesus und die Menschen, für himmlische Chöre und irdische Stimmen.

Allein die Schrift

Diese Konzentration auf den puren Bibeltext entwickelt eine enorme Wirkung gemäss dem Motto der Reformatoren Luther und Zwingli: „Allein die Schrift“. Dabei ist diese reformatorische Dichtkunst keineswegs ein Abtauchen in ein mystisches Nirwana, sondern bedeutet tätige Mitarbeit im glücklichen Gegenüber zu Gott, dem allerhöchsten Sprachmeister. Mit jugendlichem Mut wagte sich Julia Frey an diesem Abend in die unmittelbare Nähe des Herrn: Dort wurde sie getroffen von ewigen Worten, die sie an ihre Hörerinnen und Hörer verlustfrei weitergab. Dass hierbei eine anziehungskräftige Liebe am Werk war, kam in ihrem Schlussvers zum Ausdruck: „Ein Siegel des Lebens hat Gott in dein Herz gesetzt, weil es dich im Geiste vor seinen Thron versetzt – und dein Herz nun den sieht, den es mit ganzer Seele liebt.“

Mit Gebeten, Segnungshandlungen und der Feier des Abendmahls klang die Veranstaltung aus. Ein kräftiger Apero bot hiernach noch vielfach Gelegenheit zum geselligen Austausch. Die nächste „Generation Church“ ist am 26. November mit Diakon Andreas Schlegel (Schlatt) zum Thema: „Hoffen wie Abraham“.